Unterschiede

Ich mag keinen Smalltalk. Wenn ich Gäste an meinen Küchentisch einlade, freue ich mich auf ein gehaltvolles Tisch-Gespräch. Es darf humorvoll sein, kontrovers, überraschend, nur eins darf es nicht sein: belanglos und oberflächlich. Die meisten genießen

01.11.2020

Ich mag keinen Smalltalk. Wenn ich Gäste an meinen Küchentisch einlade, freue ich mich auf ein gehaltvolles Tisch-Gespräch. Es darf humorvoll sein, kontrovers, überraschend, nur eins darf es nicht sein: belanglos und oberflächlich.

Die meisten genießen diesen Unterschied. Doch so manch ein Gast hat sich darüber auch gewundert. Bei einem ersten gemeinsamen Abendessen mit oft mehreren bisher unbekannten Tisch-Nachbar*innen so persönlich zu werden, war für ihn oder sie nicht ‚normal‘.

Wir betonen das Trennende
Leider denken wir ja alle, dass der eigene Weg zu sein, die eigene Art zu arbeiten, die eigene Art Auto zu fahren oder mich anzuziehen das ‚Normale‘ ist. Und wer gemessen daran anders ist, fällt auf. ‚Das würde ich nie tun!‘ Es liegt in unserer menschlichen Natur auf Unterschiede fixiert zu sein. Wir entwickeln unsere Persönlichkeit und unsere Individualität, indem wir Unterschiede zwischen uns und anderen erkennen. Über das Wahrnehmen von Unterschieden orientieren wir uns in der Welt und treffen Entscheidungen: das ist gut für mich – das schadet mir. Das bedeutet: weil unsere Erkenntnisse sind mit Unterscheidungen verbunden sind, achten wir viel stärker auf das Trennende, als auf das was uns eint.

Das führt aber auch dazu, dass wir uns mit einem Teil der Welt identifizieren und einen anderen Teil ablehnen. Selten ist uns bewusst, dass diese Entscheidungen nicht objektiv, sondern sehr subjektiv sind und ein Mensch mit anderen Erfahrungen genauso ‚richtig‘ anders entscheiden könnte.

Was ist 'normal'?
Wie schön wäre es, wenn wir Unterschiede schätzen lernen und willkommen heißen. Statt in ‚normal‘ und nicht normal zu unterscheiden. Normalität ist eine gesellschaftliche Konstruktion. Die Mehrheit gibt den Ton an. Und je nach Lebensumständen und Situationen sind es sehr unterschiedliche Mehrheiten. Seit ich in Bayern auf dem Land lebe, bin ich eine Außenseiterin. Vor allem in der Familie meines urbayerischen Freundes. Wenn er und seine Geschwister sich unterhalten verstehe ich – obwohl schon seit 40 Jahren in Bayern lebend – manchmal fast nichts. Ob sie meinen Ruhrpott-Dialekt als willkommenen Unterschied ansehen? Da bin ich nicht so ganz sicher.

Unterschiede machen das Leben spannend
Es ist eine sehr ‚normale‘ menschliche Reaktion wissen zu wollen, was mich erwartet. Im Umgang mit dem Gewohnten agieren wir tendenziell im bequemen Autopiloten-Modus. Mit Unvorhergesehenem konfrontiert, schaltet unser Gehirn seine Warnlampen an und wir müssen uns etwas mehr anstrengen. Andererseits suchen wir doch oft das Abenteuer. Den Unterschied zum Alltäglichen. Diese Unterschiede machen das Leben und das Miteinander doch auch spannend.

Das Problem fängt möglicherweise dann an, wenn wir uns den Unterschied, das Andere eben nicht selbst ausgesucht haben. Könnte es sein, dass die Welt heute so voller Unsicherheiten ist, dass viele Menschen derart an ihre persönlichen Grenzen kommen und deshalb alles, was nicht unbedingt anders sein muss, aus ihrem Leben am liebsten verbannen möchten?   

Darfst Du Erwartungen enttäuschen?
Anderssein beinhaltet oft jedoch auch, Erwartungen zu enttäuschen. Das kann weh tun. Dem anderen sein Anderssein verzeihen, das ist der Anfang der Weisheit, so ein chinesisches Sprichwort. Beides braucht Selbstliebe – sowohl anders sein zu können und damit im Reinen zu sein, als auch den Unterschied/das ‚Andere‘ gelassen wahrzunehmen und nicht zu bekämpfen.

Wenn wir das große Ganze sehen können, fühlen wir, dass wir alle Menschen sind - auf der Suche nach Liebe und Anerkennung. Jede(r) auf ihre/seine Weise. Es ist Reichtum, der in der Vielfalt der Möglichkeiten liegt. Und die Einheit der Welt könnten wir auch in ihrer Vielfalt sehen.
Wie findest Du einen guten Umgang mit Unterschieden? Unterschiedlichen Lebensentwürfen? Haltungen? Meinungen? Ich freu mich über Deine Kommentare in unserer Facebook-Gruppe: www.facebook.com/groups/generationliebe Eure Susanne